Praxis für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde

Buchautorin und zahlreiche veröffentlichen Publikationen, Referentin bei SACAM und EATCM sowie Lehrbeauftragte des Institutes für Allgemeinmedizin an der LMU München. In eigener Praxis seit 1995 niedergelassene Ärtzin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren, tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie, und Hypnotherapie.


Interview mit Frau Dr. med. Birgit Witzens-Altenburg 01.09.2011



Die Schulmedizin denkt um
Naturheilverfahren werden allmählich als sinnvolle Ergänzung der modernen high-tech-Medizin akzeptiert

Früher wurden Homöopathie und Akupunktur als Heilungsmethoden von Schulmedizinern oft belächelt und als „Humbug“ abgetan. Doch hier gibt es einen Wandel: Immer häufiger bieten Ärzte zusätzlich zur klassischen Behandlung auch noch alternative Methoden an. Dies ist nicht nur eine Reaktion auf die Wünsche ihrer Patienten, sondern auch auf jüngste Erkenntnisse der Hirnforschung, die die Wirksamkeit der Naturheilverfahren wissenschaftlich nachweisbar macht.
jezza! befragte Dr. Birgit Witzens, die gemeinsam mit ihrem Ehemann nicht nur in Türkenfeld und Grafrath eine Praxis für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren betreibt, sondern seit 2003 auch noch als Lehrdozentin der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) tätig ist, und die Studenten in die erfolgreiche Behandlungskombination aus Schulmedizin und alternativen Heilmethoden einführt.

jezza! Frau Dr. Witzens, wie kam es zu dieser Ergänzung in der Ausbildung der Medizinstudenten?
Dr. Witzens: Die Politik erkannte, dass die schulmedizinische Ausbildung an der Universität nicht mehr ausreicht, und dass die Studenten als Basis ein umfassendes Allgemein-Medizinwissen benötigen. Denn dadurch kann die Zahl der Patienten, die gleich mehrere Ärzte konsultieren, um ihr Problem behandeln zu lassen, reduziert werden – so werden Behandlungskosten gesenkt.
12 Allgemein-Ärzte sind derzeit im Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der LMU tätig, um Vorlesungen, Seminare und Prüfungen für die Studenten durchzuführen. Ich bin für die Psychosomatik und die Naturheilverfahren zuständig, wir halten in diesem Rahmen Vorlesungen, betreiben Forschung und Lehre und lassen Studenten und Doktoranden an unserem Praxisbetrieb teilnehmen.

jezza! Sie wurden während Ihres Studiums ja noch nicht in Naturheilverfahren ausgebildet. Wie erlernten Sie diese Methoden?
Dr. Witzens: Ich war immer neugierig, habe nachgefragt, und wollte schon als Studentin nicht akzeptieren, dass man z. B. mit hohem Blutdruck lebenslänglich Medikamente nehmen muss. Also habe ich schon während des Studiums begonnen - vor mittlerweile 25 Jahren -regelmäßig Kurse und Fortbildungen zu besuchen und Urlaub geopfert, um die Methoden der Naturheilkunde zu erlernen.

jezza! Wie stehen Sie zur Schulmedizin?
Dr. Witzens: Im schulmedizinischen Alltag werden die vom Patienten geschilderten Beschwerden in Bruchstücke zerlegt, mit der Folge, dass oft eine umfangreiche und irrationale technische Diagnostik folgt, die oft nur eine „Teilmenge“ des Menschen erfassen kann. Der diese Fragmente sammelnde Arzt verliert zunehmend die Fähigkeit, Befunde in einen Zusammenhang zu bringen, der der Individualität des Kranken entspricht. Die zur Therapie verwendeten chemischen Substanzen wirken in den wenigsten Fälleneilend, sondern symptomunterdrückend - die Krankheitsursache bleibt bestehen.

jezza! Und die Naturheilkunde?
Dr. Witzens: Bei den alternativen Heilverfahren stand schon immer die Behandlung des gesamten Organismus (Körper-Seele-Geist) im Vordergrund: Hierbei wird die Förderung von Selbstheilungstendenzen, die in jedem Menschen angelegt sind, angestrebt - also Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.

jezza! Das klingt, als würden Sie überhaupt nicht mehr im schulmedizinischen Sinne arbeiten? Wenden Sie nur noch alternative Medikamente und Methoden an?
Dr. Witzens: Je akuter die Erkrankung, desto eher findet die Schulmedizin als „Akutmedizin“ ihren sinnvollen Platz. Kein seriös arbeitender Naturheilarzt würde bei einem akuten Herzinfarkt ausschließlich Akupunktur oder Homöopathie anwenden ohne intensivmedizinische schulmedizinische Therapie. Aber bei Chronisch-Kranken macht es wenig Sinn, sechs oder mehr Medikamente einzunehmen, die wieder nebenwirkungsreich sind und krank machen, wenn es effektivere und sanftere Naturheilverfahren gibt. In unserer Praxis werden deutlich weniger „chemische“ Dauer-Medikamente verschrieben als im Durchschnitt.

jezza! Kann man technisch nachweisen, dass alternative Medizin wirkt?
Dr. Witzens: Mittlerweile ja. Die Hirnforschung konnte durch technische Verfahren zur Darstellung der Gehirnabschnitte belegen, dass sich bestimmte Methoden nachweisbar positiv auf eine Krankheit auswirken. So wurde beispielsweise im funktionellen Kernspin sichtbar, dass Gedankenveränderungen oder Tiefenentspannung die dafür relevanten Gehirnareale anders einfärbten, bzw. sich Synapsenstrukturen und Nervenbahnen heilend umformten. Auch das Setzen einer Akupunkturnadel an der schmerzenden rechten Hand aktivierte das für die rechte Hand zuständige Gehirnareal.
Derzeit erforscht die moderne Wissenschaft auch die starke Wirkung der Seele auf körperliche Prozesse. Unbewusste Techniken wie Homöopathie oder Bachblüten, oder gerade die Hypnotherapie und EMDR-Therapie können Traumata lösen und sich auf ein tiefes Urvertrauen „Ich vertraue darauf, gesund zu werden“ unterstützend auswirken.

jezza! Wir berichten in unserem aktuellen Heft über Depression und Schmerztherapie. Wie können hier alternative Heilmethoden eingesetzt werden?
Dr. Witzens: Gerade für diese Krankheiten eignen sich sämtliche Naturheilverfahren, weil sie sich alle um den ganzheitlichen Ansatz bemühen. Schmerz ist ein Zeichen dafür, dass etwas im Körper nicht stimmt – so wie ein rotes Warn-Lämpchen im Auto, das eine Störung anzeigt. Interessanterweise leuchten bei seelischem Schmerz (z. B. sich ausgeschlossen oder verlassen fühlen) die gleichen Areale im Hirn wie bei körperlichen Schmerzen.
Diese Krankheiten muss man sehr ernst nehmen: Eine große Studie der WHO zeigte, dass die Zunahme der Depression in den Industrienationen zahlreiche andere Krankheiten begünstigt: Menschen mit Depressionen haben deutlich öfter z.B. Herzinfarkte oder Schlaganfälle, Schmerzen, Allergien, Rheuma, das Immunsystem wird geschwächt, die Muskeln verspannen sich, es kommt zu Gelenkschmerzen, Arthrose etc.
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Das menschliche Gehirn ist lebenslänglich „plastisch“, also formbar und kann sich bis zum letzten Lebenstag durch entsprechende sanfte Methoden regenerieren.
jezza! Vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview führte Sigrid Römer-Eisele)